Chronologie eines Desasters
Wie es zur Thermen-Ruine kommen konnte.
Fortsetzung des Artikels „Chronologie eines Desasters“ aus der Ausgabe März 2015 des Klaar Kiming Sylt Magazins
Während sich auf der Baustelle am Keitumer Wattenmeer seit dem Spätsommer 2008 nichts mehr getan hatte, ging der Streit um die Baukosten, das Grundstück und den Schuldigen fortan hinter den Kulissen weiter. Schon im Juli 2008 hatte die Gemeinde Sylt-Ost beschlossen, sich vom Privatunternehmer Deyle als Partner zu trennen. Dieser zeigte jedoch keinerlei Verhandlungswillen und untersagte der Gemeinde umgehend den Zugang zur Baustelle. Für die sich anbahnende juristische Auseinandersetzung stellte Landrat Dieter Harrsen der Gemeinde auf Kosten der Kommunalaufsich den Kieler Anwalt Dr. Carsten Krage zur Seite, der in Zukunft gemeinsam mit dem bisherigen Anwalt der Gemeinde, Dr. Henrik Bremer, die rechtlichen Entscheidungsgrundlagen erarbeiten sollte. Doch schon bald stellte sich heraus, dass diese juristische Zusammenarbeit nicht lange halten würde. Während Krage empfahl, auf Herausgabe des Grundstücks zu klagen, äußerte Bremer seine Bedenken gegen eine solche Klage und legte, als seine Bedenken auf taube Ohren stießen, sein Beratungsmandat nieder.
Im Januar 2009 fusionierte die Gemeinde Sylt-Ost mit Westerland und Rantum zur neuen Gemeinde Sylt. Die von Krage empfohlene Klage auf Herausgabe des Thermen-Grundstücks wurde von Petra Reiber als Verwaltungschefin der neu entstandenen Gemeinde eingereicht. Mit ihrer Klage vor dem Schiedsgericht hatte die Gemeinde Erfolg, jedoch dauerte es fast ein Jahr, bis im Januar 2010 endlich fest stand, dass die zwischen Deyle und der Gemeinde Sylt-Ost geschlossenen Verträge hinfällig waren und das Grundstück zurück in die Hand der Gemeinde fiel. Bis dahin war klar, dass auf dem Gelände am Wattenmeer niemals eine fertige Therme stehen würde. Noch 2008 wurde der Chef des Tourismus Service Westerland, Peter Douven, mit einer Wirtschaftlichkeitsprüfung beauftragt, die vernichtende Prognosen zu Tage brachte: Bis zu drei Millionen Euro Zuschüsse jährlich hätte die Gemeinde für die fertige Therme aufbringen müssen, hätte sie an ihren Plänen festgehalten.
Fraglich blieb weiterhin, was mit dem Therme-Grundstück in Zukunft passieren sollte. Der Verkauf des Grundstücks zur Finanzierung der in den Sand gesetzten Millionen war zwar im Gespräch, wurde von der Gemeinde Sylt aber kritisch gesehen. Was einmal verkauft ist, bleibt unwiderruflich für die Gemeinde verloren, so der Konsens. Ein Anfang 2010 in Auftrag gegebenes Gutachten hatte einen Gebäudewert von nur noch knapp 2 Millionen Euro ergeben. Die restlichen anderthalb Millionen Euro des Bauwertes, das einst bei 3,5 Mio. Euro gelegen hatte, waren in den vergangenen zwei Wintern dem Verfall zum Opfer gefallen. Aus den Überresten noch ein fertiges Gebäude zu erschaffen, dass eine angemessene Lebensdauer übersteht, erschien aussichtslos. Kein Bauunternehmen hätte dafür seine Hand ins Feuer gelegt. Der Abriss hätte die Gemeindekasse mit rund einer halben Million Euro belastet. Diese hatte aber ohnehin schon unter neuen Darlehen zu leiden. Da die Therme nicht wie geplant fertiggestellt worden war, hatte das Land seine gezahlten Zuschüsse zurückverlangt. Inklusive Zinsen wurde die Gemeinde damit um weitere 1,3 Millionen Euro ärmer.
Ohnehin wäre ein Abriss der Bauruine nicht ohne weiteres möglich, da sie vor Gericht als Beweismittel benötigt wurde. Die Zusammenhänge in dem bis heute laufenden Rechtsstreit sind etwas kompliziert: Kurt Zech fordert für seine Bautätigkeiten im Jahre 2008 Zahlungen in Höhe von etwa 2 Mio. Euro. Zahlungspflichtig wäre die Keitum-Therme Betriebsgemeinschaft unter der Führung von Uwe Deyle gewesen. Deyle teilte jedoch schon 2010 in einer Pressemitteilung mit, dass er nicht zahlungsfähig war, weil er an Zechs Vorgänger, die BAM Deutschland AG, so hohe Vorauszahlungen geleistet habe. Da Zech als Hauptgläubiger sein Geld bis 2012 noch nicht bekommen hatte, beantragte er die Insolvenz der Keitum-Therme Betriebsgemeinschaft. Dr. Kulas übernahm daraufhin als Insolvenzverwalter die Geschäfte der Gesellschaft und verklagte die ARGE mit Zechs Unterstützung auf Zahlung von 3 Mio. Euro. Wir erinnern: Die ARGE war die ursprünglich ausführende Baugesellschaft, bestehend aus der BAM Deutschland AG und Uwe Deyle. Diese antwortet mit einer Gegenklage und fordert 3,5 Mio. Euro vom Insolvenzverwalter für angeblich nicht geleistete Zahlungen. Sollte die Klage gegen die ARGE ohne Erfolg bleiben, behauptet Zech, seine 2 Mio. Euro von der Gemeinde fordern zu können. Desweiteren fordert der Insolvenzverwalter Geld von der Gemeinde. Die ursprüngliche Forderung in Höhe von 3,5 Mio. Euro ist mittlerweile jedoch auf 400 000 Euro zusammengeschmolzen. Insolvenzverwalter Dr. Kulas hat jedoch ein Druckmittel gegen die Gemeinde: Er hätte die Möglichkeit, das Schiedsverfahren, welches das Thermen-Grundstück 2010 der Gemeinde zugesprochen hat, anzufechten. Dies hätte eine weitere Zeit und Nerven raubende Auseinandersetzung um die Eigentumsrechte zur Folge.
Einen Schuldigen an dem Desaster zu finden bleibt schwierig. Zu undurchsichtig ist das Gewirr aus Verträgen und Verstrickungen, aus schon geleisteten und noch geforderten Zahlungen. Eine rechtsgültige Klärung würde nur das Ergebnis des Rechtsstreits liefern, der sich aber noch über Jahre hinziehen kann. Bürgermeisterin Petra Reiber wollte nicht so lange warten und hat den Gemeindevertretern für die Februar-Sitzung einen Vergleichsvorschlag vorgelegt. Dieser hätte im Wesentlichen zur Folge, dass Zech auf seine Forderungen verzichten und die Thermen-Ruine auf eigene Kosten abreißen würde. Im Gegenzug dafür dürfte er seine Hotelanlage auf das Christiansen-Grundstück erweitern. Der Antrag wurde von den Gemeindevertretern vertagt. Zu tief sitzt noch die schlechte Erfahrung, die man mit derartigen Deals – Leistung gegen Baurecht – in der Vergangenheit gemacht hat, als dass man sich vorschnell auf etwas einlassen möchte, was sich so leicht nicht wieder umkehren lässt.