50 Jahre Lebenshilfe Sylt e.V.
Rund 2000 Gäste besuchten das LebensBürgerFest, mit dem das 50-jährige Bestehen des Vereins gefeiert wurde. Die Lebenshilfe leistet wertvolle Arbeit für Menschen mit Behinderung.
Fortsetzung des Artikels „50 Jahre Lebenshilfe Sylt e.V.“ aus der Ausgabe Juli 2015 des Klaar Kiming Magazins
Bundesweit sind insgesamt über 500 Orts-, Kreis- und Landesverbände der Lebenshilfe zusammengeschlossen. Jede Vereinigung agiert dabei rechtlich eigenständig. Frei nach dem Motto: „Es ist normal, verschieden zu sein“, setzt sich die Vereinigung überall in Deutschland dafür ein, dass eine Behinderung nicht als Krankheit angesehen wird, sondern eine Behinderung nur als eine mögliche Daseinsform unter vielen betrachtet wird. So hat die Lebenshilfe einen maßgeblichen Anteil daran getragen, dass Menschen mit Behinderung heute uneingeschränkt als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft anzusehen sind. Auf ihre Forderung hin ist im Jahre 1994 das Grundgesetz um den Passus: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ erweitert worden.
Bis zur heutigen gesellschaftlichen Akzeptanz war es ein weiter Weg. Als die Lebenshilfe 1958 gegründet wurde, lag das nationalsozialistische Terrorregime, in dem Menschen mit Behinderungen durch Euthanasie-Programme verfolgt und getötet wurden, erst 13 Jahre zurück, ihre Nachwirkungen waren noch immer spürbar. Dr. h.c. Tom Mutters, Verbindungsoffizier des UN-Hochkommisars war es, der Eltern und Fachleute aus ganz Deutschland nach Marburg holte, um eine Vereinigung von Eltern und Freunden geistig behinderter Menschen zu gründen. Erster Vorsitzender des am 23. November 1958 gegründeten Vereins wurde Prof. Dr. Richard Mittermaier. Bereits im Jahr darauf entstanden erste Ortsverbände, unter Anderem in Köln, Bonn und Frankfurt am Main.
Die ersten Schritte der Lebenshilfe waren in den 60er Jahren die Schaffung von ersten, grundlegenden Bildungseinrichtungen. Bis dahin gab es praktisch keine schulische Ausbildung für behinderte Kinder. Der Verein gründete Tagesbildungsstätten und Schulen für geistig Behinderte. Wichtiger als Lesen, Schreiben, Rechnen war hier die praktische Bildung, die die Selbständigkeit der Menschen fördert – ein Hemd zuknöpfen, Schnürsenkel binden. Schnell zeigte sich, dass der regelmäßige Besuch eines Sonderkindergartens die Entwicklung und das Befinden der geistig behinderten Kinder besonders bis zum Vorschulalter stark verbesserte. Die Frühförderung war daher in den 70er Jahren eine der wichtigsten Disziplinen, in denen die Lebenshilfe Pionierarbeit leistete – und bis heute leistet.
Auch auf Sylt hat die Frühförderung der Lebenshilfe eine ganz besondere Qualität. „Bei uns arbeiten top ausgebildete Heilpädagogen“, freut sich Oliver Marco Pohl. Die Stellenausschreibung zum Geschäftsführer der Lebenshilfe Sylt e.V. brachte den Sozialpädagogen vor neun Jahren aus Berlin auf die Insel. „Die Kinder werden je nach Bedarf einzeln oder in Gruppen betreut.“ Während die schulische Inklusion, also der gemeinsame Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung andernorts nicht immer gut funktioniert, ist das Inklusionsprojekt auf Sylt äußerst erfolgreich. Erreicht wird dieser Erfolg nur durch konzentrierten Einsatz der heilpädagogischen Mitarbeiter, weiß Oliver Pohl : „Jedes Kind hat ein Recht auf Schule, ob mit oder ohne Handicap. Wir müssen aber darauf achten, dass die anderen Kids nicht darunter leiden. Daher sind die Mitarbeiter permanent im Unterricht dabei. Damit ein Kind mit Behinderung sich durch die ständige Aufsicht nicht ausgegrenzt fühlt, werden vom Betreuer alle Kinder miteinbezogen. Trotzdem muss der Heilpädagoge ’sein‘ Kind immer im Blick haben und mit ihm mal an die frische Luft gehen, wenn es unruhig wird.“ Für Lehrer und Heilpädagogen eine große Herausforderung.
Doch wie finanziert sich eine derart intensive Betreuung überhaupt? Die Lebenshilfe leistet ja nicht nur Frühförderung, sondern hilft zudem ja auch, die Freizeit zu gestalten: Einkaufen, Arztbesuche, Ausflüge, Kochen… diese Liste ließe sich endlos fortführen und gilt nicht nur für Jugendliche, sondern für gehandicapte Menschen jeden Alters. Zudem wohnen 19 Menschen in der Wohnstätte, die alle ebenfalls den ganzen Tag über auf Hilfe und Unterstützung zurückgreifen können. Insgesamt 40 festangestellte Mitarbeiter hat dafür allein die Lebenshilfe Sylt e.V.
„Die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu sichern, ist in Deutschland Aufgabe des Staates“, erklärt Pohl. Diese Mammutaufgabe werde jedoch nicht vom Staat selbst übernommen, sondern in der Regel an Vereine wie die Lebenshilfe weiterdelegiert. Diese erhalte dafür vom Sozialgesetzbuch festgelegte Kostensätze. „In Nordfriesland ist das nochmal anders geregelt. Wir können fallunabhängige Projekte anmelden und dafür Gelder einfordern, das gibt uns ein wenig zusätzliche Freiheit“, so Pohl. Alles, was aber über die Regelversorgung hinausgeht und von den Angehörigen nicht bezahlt werden kann, muss durch Spenden finanziert werden. „Dafür laufe ich dann auch mal los zum Spendeneintreiben“, berichtet der Geschäftsführer mit einem Augenzwinkern.
Oder sucht außergewöhnliche Wege, um besondere Dienstleistungen finanzieren zu können. So nutzt die Lebenshilfe Sylt e.V. die sogenannte Verhinderungspflege, um Sylt-Urlaubern eine zeitweise Betreuung für behinderte Angehörige anbieten zu können. „Im Sommer haben wir massenhaft Anfragen für diese familienentlastenden Dienste“, berichtet Oliver Pohl und weiß, dass es nicht immer nur die Familien sind, die Entlastung wünschen: „Ähnlich wie Computer-Freaks oder Gastronomen, die gern untereinander fachsimpeln, möchten auch Menschen mit Handicap ab und zu einfach mal unter sich sein.“